Während die Zugvögel aus dem Süden langsam wieder in Deutschland eintrudeln, planen wir unsere Abreise. Berlin hat Sendepause. Abruzzo calling! Wie so oft. Diesmal jedoch gibt es einen Unterschied: Ein Rückreisedatum steht nicht fest.
Bisher wussten nur einige enge Freunde und die Familie Bescheid. Jetzt ist es offiziell: Job und Wohnung sind gekündigt. Beides war, trotz Vorfreude, nicht so leicht wie ursprünglich gedacht.
Berlin, Halleluja Berlin. Alle wollen dahin… und wir wollen weg!
In nicht mal zwei Monaten geht es los: Anstatt von Berlin aus die Abruzzen als Region anzupreisen begeben wir uns selbst an die Front! Aus der virtuellen Expedition wird eine reale. Expedition Abruzzen das Protokoll eines Sozialexperiments.
In den letzten Jahren und Monaten wird Berlin von Italienern nahezu überschwemmt, die Ihre Heimat hinter sich lassen und hier, im gelobten Land, ihr Glück suchen und teilweise auch finden. Ivan und mich jedoch zieht es fort.
Berge und Fluss statt Berghain und Mauerpark.
Raus aus der Stadt, in der sich Menschen über das Wetter beschweren, obwohl sie 95% ihrer Zeit in geschlossenen Räumen verbringen.
Wir lassen das Land der finanziellen Sicherheit hinter uns für sonnengereifte Tomaten aus dem Garten von Ivans Papa. Das ehemalige Haus seiner Großeltern im ausgestorbenen Centro Storico, das seit Jahren vergeblich zum Verkauf steht, wird unsere neue Homebase in Raiano. Zumindest für den Anfang.
Denn Aussicht auf einen sicheren Job haben wir noch nicht, dafür auch erstmal keine Miete. Deal.
One-Way-Ticket ins Ab(ruzz)enteuer
Die Idee schwebt schon länger wie ein Damoklesschwert über uns. Eigentlich seit Ivan aus Rom zu mir nach Berlin gezogen ist. „Ist ja nur für den Übergang“, haben wir gesagt. „Um der Fernbeziehung und dem ständigen Hin-und-her ein Ende zu bereiten. So lange ich noch studiere“, haben wir gesagt…
Das Studium ist nun Geschichte, die Schreibblockade überwunden. Zeit für den nächsten Schritt: Karriere, Kind, oder wenigstens ein Kätzchen. Ich bin der Hunde-Typ, die Karriereleiter ist weder ein Ort für mich, noch für Ivan und schon gar nicht der richtige Ort, um Kinder groß zu ziehen. Berlin gerade irgendwie auch nicht.
Ja, vielleicht ist es leichtsinnig den sicheren Job hinter sich zu lassen, um in der aktuellen Situation in Italien beruflich Fuß zu fassen. Gerade jetzt, wo ich nach 16 Semestern – im Bachelor wohlgemerkt – endlich ganz offiziell Teil der arbeitenden Bevölkerung bin. Endlich angekommen in der 40-Stunden Woche, der Mitte der Gesellschaft.
Zurückbleiben, bitte!
Der Kontostand stimmt, aber das Gefühl irgendwie nicht. Daran gewöhnt man sich. Irgendwann vielleicht…
Zeit ist Geld und Geld ist Zeit. Zeit, die von unserem Lebenskonto abgebucht wird. Das eine haben heißt auf das andere zu verzichten. Der Wert des Geldes ist allen bewusst, während die Zeit und unser Leben an uns vorbeifährt, wie die S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit.
Das bisschen Freizeit, das mir nach der Arbeit noch bleibt, verbringe ich nicht auf Wiesen und in Wäldern, wie ich gern würde. Stattdessen sitze ich am PC und durchforste alte Urlaubsfotos nach brauchbarem Material für diesen Blog, hetzte durch den Supermarkt, versuche meinen Wäscheberg zu bezwingen und schlafe nach dem Essen völlig erschöpft auf der Couch vor Netflix ein.

Nur ein altes Urlaubsfoto
Zeit für Veränderung
Ganz nebenbei mache ich mir Gedanken um die Zukunft und verabschiede mich mental von meinem bisherigen Leben… Endlich stehe ich vor der großen Veränderung, die ich mir so lange gewünscht habe und gerade jetzt umzingeln mich die Zweifel wie ein Schwarm hungriger Geier.
Schwarze Vögel.
Ich zweifle an der Entscheidung, an mir und an jedem einzelnen Wort das ich schreibe. Da halte ich nun meinen großen Traum in den Händen und habe Angst die Verpackung aufzureißen aus Angst ihn zu beschmutzen.
„Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.“
Angeblich stammt dieses Zitat, das etliche Reiseblogs ziert, von Augustinus von Hippo. Der heilige Augustinus und Reiseblogs? Interessante Mischung, die mich zwar verwirrt aber dennoch erheitert. In jedes siebte Ei (wie seine fröhlichen Namensfetter) hat es der Kirchenvater und Philosoph zwar nicht geschafft, dafür aber gefühlt auf jeden siebten Reiseblog.
Fürs Reisen werde ich jedenfalls erstmal kein Geld mehr haben. Bedeutet, dass ich mich also vorerst mit einer Seite des Buches begnügen muss.
Meinetwegen! Adornos Essay „Asyl für Obdachlose“ zum Beispiel, aus dem auch das titelgebende Zitat für diesen Artikel stammt, habe ich auch nach dem x-ten Mal lesen nicht 100%ig verstanden. Manchmal braucht es einfach etwas Zeit, bis man gewisse Zusammenhänge verstehen kann…
Oder Sekundärliteratur.
Liebe Juliane und Ivan.
wir wünschen Euch einen guten Start für diesen neuen Lebensabschnitt.Alles Gute und viel Glück.
LG.Rita und Klaus
Liebe Jule, ich finde richtig gut was Ihr macht. Ihr habt nichts zu verlieren! Wenn die Zweifelgeier kreisen, lass sie ruhig, denn sich Ihnen entgegenzustellen wird Dir jedes Mal zeigen, dass Du für jetzt und für diesen Abschnitt Deines Lebens das richtige machst. Die „Tomate“ ist tausend mal wichtiger als der vermeindlich sichere aber nicht glücklich machende Job. Denk daran sie (die Tomate) immer in vollen Zügen zu genießen. Ich wünsche Dir und Ivan alles Gute, viele Tomaten und wenig werdende Geier. Deine Tine
Ansich hat man gar keine andere Wahl. Träume müssen ausgelebt werden.
Schluchz. Ihr habt wenigstens ne Wahl und euch! Und besser es gibt jeden Tag was aus Tomaten, als immer den gleichen Rotz tagein tagaus bei neun Monaten grauem Wetter und genervten und gehetzten Gesichtern. Viele Grüße von Pia, Wiebke, Markus und Rainald.
Ach Pia, wenn du den grauen Rotz satt hast, komm vorbei und bring ein paar Bionadeflaschen mit. Und den Präsentationsblazer. Dann streifen wir mit einer Armlänge Abstand durch die Wildnis und reden über die guten alten Zeiten. Viele Grüße auch an Wibbi & co.
Berlin – Moloch, Hauptstadt, Metropolregion. Berlin ist zu klein für dich geworden. Jeder, der dich „unsere Jule“ nennt, wusste, dass dieser Tag kommen würde! Von klein auf riefst du deinem Vater aus dem Badezimmer „abruzzen“ entgegen. Abruzzen – Kleinod, Nationalpark, Bergregion – kannst du es tatsächlich mit unserer Jule aufnehmen? Täusche dich nicht in ihr: klein in Gestalt, stets ein wenig drüber und doch mit allen sieben Wassern gewaschen. Ihr „AUA“ stellt sich jedem Schmerz, jeder Hürde zwar mit Respekt, doch auch mit Trotz entgegen. Viva Italia, viva Juliania. Eine beeindruckende Persönlichkeit – weiblicher Natur. Sie weiß wie man lebt…
Diese Worte haben mich tief berührt. Sie sind Mahnung und Ansporn zugleich und außerdem ein ideales Wandtattoo fürs neue Zuhause. Danke! Hier noch ein paar wertvolle Tipps zum Umgang mit Trotz.