Habt ihr schon mal etwas von der fliehenden, oder vielleicht treffender, der eilenden Madonna gehört? La Madonna che scappa in Piazza ist eine der ungewöhnlichsten und bekanntesten Ostertraditionen in den Abruzzen und in ganz Italien.
Ort des Geschehens ist Sulmona. Die wunderschöne Stadt liegt im Süden der Abruzzen in der Provinz Aquila. Direkt im Pelignatal und zwischen dem Maiella-Gebirge und dem Abruzzen-Nationalpark, ist sie ein perfekter Ausgangspunkt für Berg- und Wandertouren.
Außerdem ist Sulmona bekannt für sein kunterbuntes Konfekt und natürlich als Geburtsort Ovids.
Doch auch die Karwoche wird in der geschichtsträchtigen Stadt ausgiebig zelebriert. Die Madonna che scappa in piazza am Ostersonntag ist vielleicht der dramaturgische Höhepunkt der Ostertraditionen in den Abruzzen.
Piazza Garibaldi – die perfekte Kulisse für eine einmalige Inszenierung
Seit nun über 400 Jahren wiederholt sich nun jedes Jahr das antike Ritual, dessen Ursprünge vermutlich bis ins Mittelalter reichen. Organisiert von der Confraternita di Loreto, die Bruderschaft von St. Maria di Loreto, findet die Prozession am Ostermorgen auf der eindrucksvollen Piazza Garibaldi statt.

Piazza Garibaldi ©Claro48
Wo früher ritterliche Duelle mit Pferd und Lanze stattgefunden haben, zieht es jedes Jahr zu Ostern über 10.000 Gläubige und Schaulustige auf die Piazza, um dort, umrahmt von den Bögen des Aquädukts aus dem 13. Jahrhundert, einem einzigartigen Spektakel beizuwohnen.
Die Zeremonie beginnt um 10:00 Uhr mit einer Prozession: Die Statuen des heiligen Petrus und Johannes ziehen von der Kirche Santa Maria della Tomba zur Piazza Garibaldi. Dort, genauer gesagt in der Kirche San Filippo, wartet Maria, die Mutter des gekreuzigten Jesu, im Trauergewand. Nach der Kreuzigung ihres Sohnes hat sie sich vor lauter Trauer in der Kirche verschanzt.
Wer einmal lügt…
Sowohl der Apostel Johannes als auch Petrus klopfen an die Kirchentüre, um ihr die frohe Kunde der Auferstehung ihres Sohnes zu überbringen. Aber die Jungfrau Maria schenkt ihnen keinen Glauben – nicht zuletzt, weil Petrus zuvor Jesus drei Mal verleugnet hat.
„Pietro è na n’zegna fauzone“
– heißt es auch im sulmontinischen Dialekt. Petrus ist ein Lügner.
Nach etlichen (vergeblichen) Überzeugungsversuchen der heiligen Apostel Petrus und Johannes, lässt sich die trauernde Madonna dann doch umstimmen. Sie öffnet das Kirchenportal und schließt sich der Prozession auf der Piazza an.
Dabei wird die in schwarz gehüllte Marienstatue von Mitgliedern der Bruderschaft aus der Kirche herausgetragen.
Wiedersehen macht Freude
Genau dort, in der Mitte der wundervollen Piazza Garibaldi spielt sich um punkt 12 Uhr der Höhepunkt der Inszenierung ab. Im Zentrum der Piazza angekommen, erspäht die Muttergottes ihren Sohn Jesus Christus in der Ferne, unter dem römischen Aquaedukt.
Natürlich kann sie es kaum erwarten ihren todgeglaubten Sohn endlich wieder in die Arme zu schließen und zögert nicht lange.
Außer sich vor Freude rennt sie ihm entgegen, quer über die Piazza. Während die Madonna also im Laufschritt zu ihrem Sohn eilt ertönen Musik, Kanonenschläge und natürlich das Jubeln der Zuschauer. Halleluja!
Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden!
Ein weiteres symbolträchtiges Highlight ist, dass das schwarze Trauergewand Mariens während des Laufens zu Boden fällt und das darunter verborgene, mit Gold bestickte, Festtagskleid sichtbar wird. Gleichzeitig erheben sich 12 weiße Tauben in die Lüfte.
Nach kurzer Zeit erreicht sie den auferstandenen Jesus. Die Wiedersehensfreude von Mutter und Sohn überträgt sich aufs Volk. Die Mitglieder der Bruderschaft, insbesondere die Träger der Statue, umarmen sich und bejubelt das erfolgreiche Gelingen des Spektakels.
Denn ein Fall der Marienstatur während dieser dramatischen Inszenierung gilt als ein schlechtes Omen und bringt, der Tradition nach, Unglück für das kommende Jahr.
Alle, die es nicht in die Abruzzen schaffen, können sich den Sprint der Madonna auch als Video ansehen:
Wer sich das Spektakel live ansehen will, für den haben wir praktische Tipps zur Anreise in die Abruzzen zusammengestellt.
Übrigens: Den geheimen Mechanismus, der für den Kleiderwechsel der Jungfrau verantwortlich ist kennen nur die Mitglieder der Konfraternität und die Familie D’Erasmo, die seit Generationen das Privileg besitzt die Madonna für den großen Tag anzukleiden.
Und von welchen ungewöhnlichen Ostertraditionen aus den Abruzzen könnt ihr uns berichten?
PS. Grazie a Gaetano La Fratta per la splendida foto di copertina!